Sexualpädagogisches Konzept
Sexualität ist integraler Teil des ganzen Lebens von der Geburt bis zum Tod und ein zentraler Bestandteil der ganzen Persönlichkeitsentwicklung.
Bezugnehmend auf die acht Leitsätze zur Erziehung, Bildung und Betreuung im Umfeld frühkindlicher Sexualität in Kindertageseinrichtungen im Bistum Mainz sehen wir uns als Begleitung des Kindes in seiner körperlichen und seelischen Entwicklung. Die Sexualerziehung nimmt für uns in der Pädagogik keine Sonderstellung ein, sondern ist ein Teil der Sozialerziehung und Persönlichkeitsbildung.
Sexualität
- ist „ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen über die gesamte Lebensphase.
- ist ein zentraler Bestandteil seiner Identität und Persönlichkeitsentwicklung.
- schließt das biologische Geschlecht, die Geschlechtsidentität, die Geschlechterrolle, sexuelle Orientierung, Lust, Erotik, Intimität und Fortpflanzung ein.
- wird erfahren und drückt sich aus in Gedanken, Phantasien, Wünschen, Überzeugungen, Einstellungen, Werten, Verhaltensmustern, Praktiken, Rollen und Beziehungen.
- wird beeinflusst durch das Zusammenwirken biologischer, psychosozialer, wirtschaftlicher, sozialer, politischer, ethischer, rechtlicher, religiöser und spiritueller Faktoren“.
Was bedeutet die Sexualität der Kinder in Abgrenzung zu Sex. Erwachsener?
Sexualität der Kinder
- ist unbefangen, endeckungsfreudig, spontan
- Kinder suchen ganzheitlich Zärtlichkeit/Körperkontakt, d.h. sie trennen nicht: Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und genitale Sexualität
Sexualität der Erwachsenen ist
- zielgerichtet
- beziehungsorientiert
- auf sexuelle Befriedigung aus
Die Sicht Erwachsener auf Sexualität ist eine andere als die der Kinder.[1] Die kindliche Sexualität ist unbefangen, entdeckungsfreudig und spontan. Aus pädagogischer und entwicklungstheoretischer Sicht ist das Interesse am Thema Körper und Sexualität besonders im Vorschulalter ganz normal und zu erwarten. Die kindliche Sexualität ist dabei eine Erfahrung des Spürens und Erforschens, sie beschreibt einen Prozess, während dem das Kind sich kennenlernt, seinen Körper erforscht, eine Geschlechtsidentität entwickelt und Genuss verspürt. Das Kind beginnt Neugierde in Bezug auf seinen Körper und den Körper anderer zu entwickeln. Dabei stellt es Fragen bezüglich der Unterschiede die es zwischen seinem und dem Körper anderer beobachtet, es erforscht wie sich der eigene Körper anfühlt, was sich gut und was sich nicht so gut anfühlt, und es beginnt sich mit dem eigenen Geschlecht zu identifizieren. Dabei ist ihr Schamgefühl noch nicht ausgeprägt, für sie sind weder ihre Nacktheit noch die Gefühle beim eigenen Berühren mit positiver oder negativer Wertung besetzt. Da die kindliche Sexualität vor allem auf die eigene Sexualität gerichtet ist, das eigene Bedürfnis, die eigene Neugierde, die eigene Suche nach Identität, haben Kinder normalerweise noch nicht dieselbe Sensibilität bezüglich der Grenzen anderer wie wir sie als Erwachsene haben. Dabei kann es vorkommen, dass sie Grenzen anderer überschreiten. Es ist dann die wichtige Aufgabe der Sorgeberechtigten und Erzieher ihnen diese Grenzen aufzuzeigen und zu vermitteln. Gleichzeitig ist es wichtig ihnen ihre eigenen Grenzen gegenüber anderer bewusst zu machen und ihnen Strategien an die Hand zu geben diese auch einzufordern.
Somit suchen Kinder ganzheitlich Zärtlichkeit und Körperkontakt, sie trennen nicht zwischen Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und genitaler Sexualität. Bezugnehmend auf die Psychosexuelle Entwicklung nach Sigmund Freud ist die Entwicklung des Kindes in Phasen unterteilt. In der oralen Phase (erstes Lebensjahr) erleben sich das Kind über Haut und Mund und erste Beziehungen zur Umwelt werden aufgebaut. In der narzisstischen Phase (Ende des ersten und Beginn des zweiten Lebensjahrs) entdeckt das Kind seinen eigenen Körper, fühlt ihn und empfindet Lust dabei. Ab dem zweiten Lebensjahr erkundet das Kind seine Ausscheidungen, berührt gezielt seine Genitalien und ruft Erregungen herbei, um seinen Körper zu erforschen.
Mit Beginn der analen Phase (zweites bis drittes Lebensjahr) lernt das Kind Kontrolle über seine Körperfunktionen auszuüben. Es setzt sich mit den Anforderungen der Umwelt auseinander (z.B. Sauberkeitserziehung, Spracherwerb). Das Kind erforscht Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Geschlechtsteile, auch in sexuellen Aktivitäten mit anderen Kindern (Doktorspiele) und ein Schamgefühl entwickelt sich. In der phallischen bzw. ödipalen Phase werden körperliche und kognitive Entwicklungen vollzogen, Genitalien werden Lust besetzt. Das Kind erkennt den Unterschied zum anderen Geschlecht und tritt in Konkurrenz zum gleichgeschlechtlichen Elternteil. Es unternimmt Entdeckungsreisen rund um seine Sexualität, Selbstbefriedigung wird entdeckt. In der anschließenden Latenzperiode (fünftes bis elftes Lebensjahr) kommt es zu einer scheinbaren Unterbrechung der sexuellen Entwicklung. Spielkameraden werden eher unter gleichgeschlechtlichen Kindern gesucht und es kommt zur Schamentwicklung.
Sexualerziehung bedeutet für uns, das Kind von Beginn an in allen seinen Bildungsprozessen zu unterstützen. Das Kind erlernt den Umgang mit der Sexualität von Anfang an durch Unterstützung und Begleitung der Fachkräfte.
Sexualerziehung durch pädagogische Fachkräfte bedeutet,
- Kinder zu fördern, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken.
- die körperliche Wahrnehmungsfähigkeit mit allen Sinnen und die Entwicklung eines positiven Körpergefühls zu fördern.
- Kinder über Geschlechtsunterschiede, die geschlechtlichen Körperfunktionen, Zeugung, Schwangerschaft und Geburt zu informieren, insofern die Kinder Interesse an diesen Themen zeigen.
- mit Kindern über Sexualität zu sprechen, sie selbst dadurch zu befähigen, sich mitzuteilen.
- den Kindern ihre eigene Körperlichkeit und Intimität zuzugestehen und ihnen einen respektvollen Umgang mit dem eigenen Körper und dem Körper anderer aufzuzeigen.
- Kinder zu ermutigen, ihren eigenen Wahrnehmungen zu trauen, um bei ungewollten Körperkontakten NEIN sagen zu können.
- Kinder zu unterstützen, sich gegen Übergriffe, Verletzungen zu wehren.
- sensibel zu sein für geschlechtsspezifische Erziehung.
- Wissbegierde und Neugier der Kinder zu akzeptieren und zu begleiten.
- den Eltern gegenüber klar und offen und trotzdem auch sensibel gegenüber kulturell unterschiedlichen Umgangsformen zu sein.
Wir achten darauf:
- Kinder dürfen sich zurückziehen, um ihre Körper zu erforschen, solange gilt: Vorher, mittendrin und hinterher fühlen sich alle Beteiligten gut!!!
- Wenn ein Kind sich unwohl fühlt und/ oder NEIN sagt, darf es jederzeit die Situation verlassen. Nein ist nein und gilt immer!
- Es werden keine Gegenstände in Körperöffnungen eingeführt.
- ‚Doktorspiele‘ finden nur unter Kindern mit einem gleichen körperlichen und geistigen Entwicklungsstand statt.
[1] Zitat aus: 8 Leitsätze zur Erziehung, Bildung und Betreuung im Umfeld frühkindlicher Sexualität in Kindertageseinrichtungen im Bistum Mainz